I day 6

I Hauptplatz – Solar City

Einstieg Hauptplatz. Uhrenvergleich. 14:24. Die nächsten 38 Minuten wird die Stadt von ihrem Kern bis zu ihrem Rand durchzogen werden. Die Straßenbahnlinie Nummer 2 wird als Werkzeug genommen, um während Beschleunigung und abrupten Stillstand ein Gefühl für die verschiedenen Schichten der Stadtstruktur zu bekommen. Bewaffnet mit Kamera und durchaus schussbereit ziehen die einzelnen Stationen und mit ihnen die aus- und einsteigenden Menschen vorbei. Prägen sich zusammen mit den freundlicherweise von der Linz AG bereitgestellten und während der Fahrt mitgeteilten Informationen in ein Mosaik der Unterschiedlichkeit der Stadt ein. Die Stadt als Zentrum, urban und dicht, ausgestattet mit Kultur und Kunst entwickelt sich über die Stationen Hauptplatz – Taubenmarkt – Mozartkreuzung – Bürgerstrasse – Goethekreuzung. Die Bewegung durch einen beinah bürgerlich anmutenden Straßenzug taucht kurz vor der Station Hauptbahnhof in den Untergrund ab. Das Linz AG Kundenzentrum hinter uns gelassen, vor uns ein Umstiegs-, Geschwindigkeits- und Nationalitätenzentrum in Reichweite. Der Aufenthalt kurz, die Weiterfahrt rasch – mitten in Berufsaussichten hinein: Unionkreuzung – Berufsförderungsinstitut BFI. Herz-Jesu-Kirche und dann Bulgariplatz – Arbeitsmarktservice. WIFI – Linz AG Center. Weitläufige Geschäftsbauten treffen auf die ersten zehngeschossigen Wohnblöcke. Der Blick trifft im Weiterfahren auf die hier omnipräsente VOEST. Die Haltestelle kombiniert den Arbeitgeber mit Arbeitnehmernachwuchs: VOEST – Alpine – Berufsschulzentrum. Weiter im Rhythmus, hinein in die Neue Welt. Ein recht eingesessen erscheinendes Viertel, vorstädtisch, den Blick gen Westen gerichtet? Scharlinz – Wahringerstraße - Wimmerstraße – Wohnblöcke mit den für Linz so typischen vorgesetzten angedockten Liftkonstrukten. Dann wieder Berührung mit der Linz AG – Remise Kleinmünchen. Über die Simonystraße und vorbei an sozialen Wohnbauten aus den 60er und 70er Jahren zur Saporoshjestraße. Der Gedanke an japanische Einflüsse liegt nahe, wird aber nicht weitergesponnen, da die Traun die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Einmal. Zweimal gelingt die Überquerung, um mitten in Ebelsberg zu halten. Blockrandbebauung. Stolze Häuser aus der Jahrhundertwende des vorigen Jahrhunderts. Ärzte. Tafeln, die von gefallenen Brüdern und Kollegen erzählen. Die Straßenbahn gibt den Rhythmus vor, ein Verweilen jetzt noch nicht möglich. Handerweg – Wambacher Straße – Edmund Aigner Straße – Hartheimer Straße – Ennsfeld. Dörfliche Struktur, weitere Straßen. Die Bewegung auf der Straße verliert an Gehetztheit. Um die nächste Kurve wartet die Sicherheit. Verteidigung des Landes. Panzer als Dekoration auf dem Parkplatz. Und die österreichische Flagge lässt mit sich im Wind spielen. Kaserne auf der einen, Wald und weite Äcker auf der anderen Seite. Heraus aus vorstädtischer oder dörflicher Struktur. Mitten in weites Land. Sanfte Hügel. Das Linzer Ortsende-Schild grüßt. Die Straßenbahn macht eine scharfe Kurve, als wolle sie mit allen Mitteln innerhalb des „Stadtgebietes“ bleiben. Hillerstraße und Peripheriesiedlungen. Bahnhof Ebelsberg und landwirtschaftliche Flächen. Wiesen und Radwege. Rapsblüten und Staub. Und plötzlich der Satellit. Der Name der Station ist bezeichnend: Neufelderstraße. Aus den Feldern werden Solarflächen. Ziehen sich über ein völlig neues Dorfgebiet. Die letzte Station vor der Endhaltestelle das Zentrum: rote, gelbe, blaue Gläser, die das durchscheinende Sonnenlicht auf die darunter liegenden Steinflächen werfen. Solar City als eigenständiges Dorf. Mit Volkshaus, Seniorenzentrum, Stadtbibliothek. Mit eigenem Badesee, Wasservögeln und Abenteuerhügeln, die zum Spielen einladen. Mit Kaffeehaus und Bekleidungsgeschäft. Frauenarzt und Trafik. Wer im Spar einkauft, wird mit „Grias di!“ empfangen, egal ob hier ansässig oder nicht. Jeder kennt jeden – zumindest das Gefühl wird hier vermittelt. Tobias wohnt hier genauso wie die Katze mit eigenem Kratzbaumhaus. Helios und Pollux schauen auf geschwungene Wohnräume und Loggiengewusel. Der Bildungsauftrag funktioniert über Straßenschilder, nun wissen wir auch, dass die Forelle eine heimische Fischart ist. Die Aluschüssel liegt im Sand und sendet Signale vom Satelliten, in der Hoffnung, über die Grenzen von Linz wahrgenommen zu werden.

I Hauptplatz – Universität oder die Entdeckung des Spirits der Stadt Linz

Auf Schienen Richtung Norden. Durchquere ein Uhrfahr, dass noch ein Dorf in sich trägt. Schulen neben Schulen. Ich lerne Georg von Peuerbach kennen und freue mich für ihn, denn sein Name steht in großen Lettern auf einer Vertikalen. Junge Menschen strömen durch die Öffnung in das Innere. Vorbei an der Bawagsiedlung. Die Schienen durchschneiden Wiesenflächen und der Schatten von Birken fällt auf meine Mitreisenden. Dann eine lange Gerade. Aufgefädelt werden Flächen, die über das Sichtfeld hinaus gen Himmel streben und solche, die sich dem Boden näher fühlen. Gewohnt wird mit Distanz, gekauft, getankt und gegessen wird in Aughöhe. Langsam führt mein Weg in ein immer dichter werdendes Tunnel aus Grün. Nur punktuell erhasche ich den Blick der Ruhe hinter meiner Bewegung auf Schienen. Sehe Hinweise auf Augenärzte, die Oberbank, auf „starke Unternehmen“ und die Linz AG schafft es sogar trotz hohem Wachstum der grünen Grenzlinie einen Werbekörper ins Blickfeld zu rücken. „Starke Unternehmen“ in einer „starken Stadt“, in der gut gearbeitet wird. „Eine Chance“. Meine Gedanken hängen noch an diesem Implantat, dass sich in mein Hirn manövrieren will. Losgelöst erreiche ich das Ende. Die Nummer 2 entleert ihren Köper, dreht sich und nähert sich wieder dem Kern der Stadt, wie der Mensch dem Erdmittelpunkt. Spaziere vorbei an Schulmädchen, die sich umzäunt nordisch fortbewegen, durch Wohnblöcke mit wehender Kleidung vor sattem Grün. Bald am Hang. Überblicke das Gebiet, von dem ich etwas später den Namen erfahren werde. Mitten am Acker überquere ich die Linie zwischen Linz Ende und Linz und nähere mich wieder dem Gebauten. Jetzt entdecke ich endlich das Areal, dass der Endstation seinen Namen gegeben hat. Wasserflächen und Kunstobjekte durchweben den Campus und ich entdecke endlich den Spirit of Linz. 1987 entstand hier ein „variables Objekt in Pos 3“ aus „Chromnickel-Stahl H:11m“. Wieder weiter, durch Wohngebiete, in den vieles Verboten und wenig erlaubt ist, doch inmitten dieses Waldes an Ge- und Verboten eine Bärenmama mit Nachwuchs, die sich, zu Stein geworden, liebkosen. Angezogen von einem Turm, an dem sich sämtliche Telefonnetzbetreiber parasitär angesiedelt haben. Im Gespräch. Das Ehepaar erzählt von ihrem Sohn, von dem Ursprung der Donau und wir verfolgen gemeinsam den Lauf des Wassers an der Fassade von Dornach. Über Linz und Belgrad Richtung schwarzes Meer. Auf dem Weg Zeilen von Canetti, Roth, Schnitzler, Kafka, Handke etc. Der Fluss durchwebt ein Seniorenzentrum und über Putzutensilien stolpernd, vorbei an Tee trinkenden Damen erfahre ich noch von dem Pleschingersee und einer Pferdeeisenbahn, die an vergangenen Tagen Mitreisende bis nach Budweis mitgenommen hat. Wir tauschen Adressen aus und ich bekomme mit diesen Daten auch die Möglichkeit mich mit weiteren Fragen an sie zu wenden. Diese Endstation mit all ihren spiralförmigen Bewegungsmöglichkeiten wird mich wieder sehen. Mache mich wieder auf - 19min. später stehe ich im Schatten der Pest.