I day 10

I Der Ausflug mit der alten Dame

Stolz wiegt sie sich im Wasser und erwartet uns. Mit 80 Jahren immer noch flott unterwegs, wir erfahren, durchschnittlich mit 16km/h, den Wellen trotzend. Entdecken oranges Liegewerk und unsere Körper machen es sich im Gedanken schon mal gemütlich. Auf dem Deck. Wir setzen uns in Bewegung. Es geht flussabwärts am zweitlängsten Strom(!) Europas - denn ein Fluss mündet in einen weiteren Fluss, der Strom sucht entschlossen seinen Weg ins Meer. 2888km lang ertönt es aus dem Megaphon. Stellen uns die Dame zur Stimme vor und erfreuen uns ihrer Geschichten. Weiss auf Schwarz ziehen Zahlen an uns vorbei und wir wissen seit heute um ihre Bedeutung – 2134. 2134km. 2134km sind wir in diesem Moment entfernt vom schwarzen Meer. Eine Rarität, denn in den meisten Fällen beginnt der Strom, das Leben, die Zeit irgendwann einmal bei 0 und zwar, so möchte man zumindest meinen, beim Ursprung, bei der Quelle. Nicht so bei der Donau. Dieser Strom zählt hinunter und nähert sich dem offenen, schwarzen Nullpunkt. 1,2m tief schwimmt unsere Dame. Zu hitzigen Zeiten in 18°C lauem Wasser. Unter ihr zwischen 5 und 7m Restkörper bis zum Grund. An den gefährlichsten Stellen dieses Stromes misst die Tiefe sogar bis zu 22m. Mein Blick schwenkt zurück und sucht die Stadt flussaufwärts, doch sie entzieht sich meinem Blick. Verschluckt, verschwunden, versteckt. Die Donau krümmt sich und stellt alles in den Schatten. An dieser Stelle bekommen wir die Erklärung. „Lentos“ (keltisch): bedeutet Krümmung oder Kurve und wurde dann von den Römern und später noch von dem großen Alexander (der allerdings in dem Reisehandbuch „Linz-Donau“ schwer zu finden war, nicht so der nicht minder große Karl) solange gedreht und gewendet bis wir heute bei „Linz“ angekommen sind. Der Name ist geklärt, die Dimensionen werden nachgeschoben: Zwischen dem Pöstlingberg im Norden und der Voest im Süden werden 28-30km aufgespannt. Luftlinie. Eine Linie in der Luft. Toll. Nicken uns zu - nicht ohne Bewunderung für diese Zahl. Durchschiffen den Winter- und Handelshafen und erfahren, dass es auch noch einen Tankhafen gibt, der unsere Dame die nächsten 2000 Jahre, bei 24stündiger Aktivität, versorgen könnte. Das Nicken wird forciert und die Unterlippe schiebt sich über die obere. Vorbei an „Schönbrunn“. Unsere Dame wirkt erquickend jung im Vergleich und „Schönbrunn“ scheint uns nicht ohne kindliche Freude zuzuzwinkern „Titanic ist tot. Ich schwimme noch“. Vorbei an 5,2km2 Voestfläche. Ruhig liegt sie vor uns und bietet Arbeitsplätze und Schienenkilometer in der Länge vom gesamten Schienennetz Vorarlbergs. Wir müssen weiter. Am Ufer wird gegrillt, gewunken, geflogen, entflohen, gelagert, getankt und aufgetankt. Gemächlich nähern wir uns wieder der Stadt. Schwimmen gegen den Strom, an uns vorbei stolziert die Kaiserin, ohne große Wogen zu schlagen. Auf der Grenzlinie, zwischen Nord und Süd, Uhrfahr und Linz, erfahren wir von den beiden, tauchen unter der materialisierten Verbindung durch und passieren Strände und Villen mit Hanglage. Noch die Stadt klar spürbar im Rücken, mit Erzählungen über die „Linzerpforte“ gedanklich schon weiter westlich, wendet die Dame und will wieder nach Hause. Wir mit ihr. Verabschieden uns von dem Wasserraum mit der Weite und der Kraft eines Stromes und bekommen wieder Land unter den Füssen.