I GRAZ

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I 00 Neue Augen

Wintersonnen spielen mit frischgefallenem Schnee in einer wieder entdeckten Stadt. Sie wurde neu geboren in Augen, die etwas anderes gesehen haben. Eindrücke überschlagen sich und mir scheint, dass ich immer noch auf Reisen bin. Doch meine Umgebung, die Menschen aus meinem Leben erzählen mir von Heimat, von meinem Zuhause. Doch diese Heimat ist mutiert. Auf Strassen, die in meinen Erinnerungen eingefroren scheinen, begrüßen sich zwei Männer, blinzeln in die Sonne und tauschen sich aus, umarmt ein Mönch einen Mann im Rollstuhl, der um Geld bittet, scherzt ein Verkäufer hinter seinem Naturkostladen mit einer Gruppe spanischer Touristen, lacht das Gesicht eines verstorbenen 34-jährigen Schusters von seinem gewesenem Schaufenster und schon bin ich wieder in NIS. Mitgenommenes, stadtspezifisch Geglaubtes finde ich in einer Stadt meiner letzten acht Jahre.

Mit meinen neuen Augen lerne ich gerade erst zu sehen und komme langsam an.

I 00 Wiederkommen

Wie komme ich hierher zurück. Viele Zeilen, Gedanken, Gedankensprünge liegen bereits zwischen dem tatsächlichen Ankommen und der Zeit, die mich wieder mittreibt. Ich lebe in einer Stadt, die aufgeladen ist von meiner eigenen Geschichte. Keine Menschen mehr, die mir ihre Geschichte erzählen. Ich kann mir selbst zuhören. Will ich das, frage ich mich, immer wieder, wenn ich mich in dieser Stadt bewege. Ich zwinge mich, den Weg zu gehen, der mich Graz neu sehen lässt. Es ist ein Weg, der ständig zu kämpfen hat mit Gedanken-und Geschichtenräumen, die ihn in eine Sackgasse zu verwandeln drohen. Meine Schritte werden bewusster, mein Blick senkt sich, schweift zu Unsichtbarem, verschliesst und öffnet sich vor Unausweichbarem, die Suche nach meiner Stadt wird zu einer Suche nach Nis, zu einer Suche nach Fremdem, Unerwartetem. Wie eingelernt fange ich wieder an, mich auf Strassen und in Richtungen zu bewegen, die sich nie zu ändern scheinen, Wege, die vorgegeben zu sein scheinen, die ich selbst mir vor langer Zeit vorgegeben habe, die ich mit Gefühlen, Blicken, Charakteren belegt habe, und, um diese zu ändern, ich mit der Stadt fortwährend im Kampf stehe. Freiwillig scheint sie ihre Position, ihren Charakter nicht aufzugeben, nicht für mich. Ihr ihre Tradition dahingehend zu entreissen, scheint sie zu beleidigen, durch meinen Versuch des „neuen“ Blickes wirkt sie verstört, beschämt, verletzt, Dinge zu zeigen, die nicht in ein rundes, glattes Bild passen. Ihre steife Art, herzlich zu sein, ihr Darüber-Lächeln (das mehr ein Lachen ist) über ihre Borniertheit, ihre Kontrolliertheit und Kontrolle, alles das hat eine Kraft. Diese Kraft besitzt aber dann eine Stärke, wenn sie auch ihr Verfehlen, ihre Schwäche darin und damit offenbart. Ein Zuerkennen der Schwäche lässt mich Dinge entdecken, Gefühle spüren, die neu sind für mich. Ich fühle mich am Beginn eines neuen ersten Besuchs in Graz.

Der Unterschied zu einer tatsächlich neuen Stadt ist, dass ich selbst mir meine Geschichten erzählen muss und gleichzeitig zuhöre.