I GRAZ

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I 02 Die Mission

Auf gewohnten Wegen in die Stadt. Ins Zentrum. Zu einer Ausstellung über serbische Künstler. Die Menschen aus Nis spazieren mit mir und Vorstellungen und Träume von ihnen sehe ich schon auf Screens abgebildet. Versuche mich von konkreten Vorstellungen und Erwartungen zu lösen. Im Inneren schreit mich eine junge Frau aus einem schwarzen Kasten an und redet von „I´m gonna bite your cock off and spit it out“ und kehrt kurz darauf wieder zurück zu einem aggressiven Körpertanz. Im Nebenraum singt Gloria Gaynor über Tod und Überleben und ein zweidimensionaler Mann kuschelt sich unter seine Decke und flüstert mir etwas zu. Schon bin ich erlöst von Erwartungen und lasse mir von 6 belgradern Künstlern ihre Geschichte erzählen. Weiter auf unserem Weg. Mit Ziel. Treffen Familie und blicken über eine Stadt, die wir auserkoren haben. Uns auf sie einzulassen, mit ihr zu arbeiten. Schon heute, Tag 02, finden wir in dieser Auseinandersetzung mehr als nur einen Stadt mit all ihren Räumen, ihren Menschen, ihren Eigenheiten. Wir lernen, beladen mit einem Rucksack Vergangenheit, uns selbst wieder ein bisschen besser kennen. Kämpfe mit einem Zugeständnis und einem Abschieben von „bremsenden“ Elementen. Bremsend, denn „...wir haben eine Mission zu erfüllen.“. Eine Mission? Eine Aufgabe? In meinem Innersten spüre ich etwas das sich stolz auf die Schulter klopft und mir Vertrauen zuflüstert. Finde wieder Charaktere und Bilder aus dieser Stadt und bilde ab, mit Freude über Neuentdecktes, doch das Sehen wird von Blick zu Blick kraftraubender und ich suche vertraute Wände, bespielt mit der Musik meines Lebens.

I 02 Kind

Viel zu schnell bewege ich mich wieder. Viel zu sehr hängt mir meine eigene Stadt im Nacken. Viel zu selten kann ich sie mit neuen Augen sehen. Viel zu ungeduldig will ich die Zeit vorantreiben.

Auf einmal: um die Ecke raubt mir ein Platz voller lachender Gesichter meine Geschwindigkeit. Gesichter von Kindern, Eltern, Freunden, Geschwistern, Alten, Jungen, Jüngsten. Sie alle agieren für den kurzen Moment während meiner Anwesenheit so leicht, so treiben lassend, so nicht getrieben. Ein Kind besetzt den Platzboden, rollt, spielt mit Ritzen, klaubt Steinchen, bewegt sich nicht fort und findet sein momentanes Glück auf einem Quadratmeter. Es besitzt bereits die Stadt in seinem Masstab, nutzt sie, gebraucht sie, spielt mit ihr, lebt mit ihr. Es ist sich dessen nicht bewusst, und in nicht allzuvielen Jahren wird es dieses Nicht-Bewusstsein verloren haben, sich durch die Stadt bewegen, ohne zu wissen, was es geliebt und gelebt hat, ohne sich zunutze zu machen und sich nehmen wollen, was schon längst sein Eigen ist. Es wird die Pfade, Räume wiedererkennen und im selben Moment vergessen, weil es sich weitertreibt und sich nicht mehr treiben lässt. Langsam wird sich die Stadt einhüllen mit dem Schleier seiner eigenen Geschichte, die lauter schreit, als die Stadt es kann, weil sie immerfort bei ihm war, wie die Stadt auch, aber ihr Recht auf Beachtung einfordert, verteidigt, ja umkämpft, und nicht kampflos einer Kraft überlassen will, die leise, offen, raumlos einfach immer da war und ist, ohne um ihre Existenz bangen zu müssen, doch als Gegenwart gegen eine offensive Vergangenheit wenig Chance hat.

Auch ich bin das Kind. Und sosehr bin ich vereinnahmt, umkämpft von meiner verbrachten, verlebten Zeit hier, dass es mir Aufwand, Kraft, Kampf kostet, den Raum der Stadt zu spüren, nicht die Geschichten. Da hat mich meine Geschichte wieder: nach einem ewigen Moment des Schauens, sprachlos Seins, nicht sprechen Wollens, Zuhörens, Aufnehmens, Aufsaugens, Einatmens, fällt mir das Gebäude an der Stirnseite in den Blick: meine Schule. Doch jetzt ist das neue, das noch nicht Gesehene so stark, so präsent, so unausweichbar, dass sich der Kampf zugunsten Graz entscheidet. Acht Jahre auf diesem Platz löschen sich für diese Stunde aus, um dem Jetzt den gebührenden Raum zu überlassen. Ich möchte auf einmal wieder das Kind sein, dass dieses Inbesitznehmen seines Raumes mitträgt, nicht verbirgt, in sein Leben hinausträgt. Je weiter ich mich vom Kind auf dem Platz entferne, desto stärker kann ich es in mir hören. Die Fragen, die es mir stellt, sind Aufgaben, die ich hier lösen kann, um mit Graz wieder zu leben.