I day 04

I Alle Antennen auf Empfang

Augen auf. Sonne rein. Stasys wartet schon. Laut Virginija vom Contemporary Art Center „an excentric artist that uses to make unknown tours with people around the city“. Wir sind glücklich unvorbereitet, ausgeschlafen offen und vor allem über die Maßen neugierig. Treffen ihn und gleich mehr als eine Handvoll andere, im Kunstbereich tätigen Vilniuser im Café. In den Tag starten mit Suppe, Schokoladenkuchen und Ferngläsern. Stasys hat vorgesorgt. Kennt die Weite des Landes. Die unzähligen Details, die es rundherum zu entdecken gilt, sobald wir am Hügel stehen. Russische, japanische, deutsche Optikermeister haben für uns den Blick auf Satellitenstadtplattenbau, drei weiße Kreuze am Stadtberg und die im Horizont verschwindenden Ebenen schärfen geholfen. Der Atem wird grenzenlos, die Finger durch die eisige Kälte nicht mehr spürbar. Umringt von Schifahrern, die sich die Hänge hinunter zu ihrer Stadt erkämpfen, versuchen wir Vilnius von einem erhobenen Blickpunkt aus zu fassen. Der Blick bleibt hängen an bereits bekannten Plätzen, ergangenen Straßenmustern. Der Wind und der Hunger ziehen uns wieder mitten ins Getriebe dieser Stadt. Vorbei am Frauengefängnis und der dazugehörigen Kirche, die, mit großzügigem Andachtsraum ausgestattet, genügend Platz schafft für mehrere Ebenen voller Zellen. Sowjet traces from the past. Und heute, ein paar Straßen weiter: french roots im centre culturel francais. Crepes und Wirtshauskatze. Napoleons Schlachten, gedruckt, coloriert und gebunden in rotem Leder, wandern von einer Hand in die andere. Neben uns Terence aus Florida, der urban planner mitten in seinem PhD mitten in Vilnius. Die Antennen, die ich von unserem Wohnungsfenster aus sehen kann, übersetzen für mich die Signale, die hier durch die Stadt eilen: Kommen und gehen. Sehen und Hören. Aufnehmen und bleiben.

I Lampenfieber

Finden aufpolierte Fassaden. Kerben sind gefüllt, eventuelle Unebenheiten der Zeit sind geglättet. Das Nebenhaus versteckt sich hinter einem Schleier und wartet, hinter der Unescobühne, in Vorfreude auf die Maske und den darauf folgenden Auftritt. Zwischen verschiedenfarbigen Häuserfronten - Öffnungen, die in ein Inneres ziehen. Der Kern der Frucht. Ein Kern der Stadt. Finden uns vor einem Bären wieder, auf dem eine nackte Frau reitet. Beide thronen stolz, in Bronze gegossen, über Aughöhe und setzen den Attraktor dieses Raumes. Alles dreht sich. Darum. Darum herum. Die Vertikalen, die die beiden umringen, sind Projektionsflächen - bunt, wild und mit Geschichten versehen, die wir nicht entziffern können. Bewegen uns von einem Kern in den nächsten und entdecken dass es auch zwischen Vogelrassen das Phänomen der Segregation gibt. Die Spatzen pfeifen hier nicht von den Dächern sondern finden sich in der Herde wieder und okkupieren gemeinsam einen Strauch. Die Taubengang scheint verstoßen und versucht ihren Platz zu finden - der heute vorgefundene wird es wohl kaum auf Dauer bleiben. Wieder zurück im deklariert öffentlichen Vilnius. Der Platz. Der Schnee. Ein Bild, das keine weiteren Worte bedarf. Auf diesem Wege grüssen wir Brüssel und all die anderen Städte, die das kalte Weiß nur mehr aus dem Internet kennen.