I day 06 I Strahlende Geschichte(n) Kurz vor unserem Termin mit Albinas Kentra sondieren wir Gebäck. Judith Lewonig bringt Kaffee. Stellen uns ein auf ein paar Stunden mit einem spannenden Zeitzeugen der Januartage. Nicht nur Zeuge, nicht nur Träger seiner Erinnerungen ist er, er zeigt Bilder, bewegte und bewegende Bilder von diesen Tagen. Doch zuerst wollen wir ihn kennen lernen. Er öffnet uns die schwere Eisentür und lädt uns ein in sein Reich. Die rechte Hand, verletzt und scheu, schmiegt sich in seiner Jacke an seinen Körper. Werden über Stufen und durch Gänge geführt und lesen Buvome! Esame! Būsime ! Wir waren! Wir sind! Wir werden sein! Er beginnt zu erzählen, von 1927, von den Brüdern, von einer Bewegung, von einer Kraft. Seine Augen beginnen zu strahlen. Er sucht nicht nur unseren Blick, sondern auch einen Weg zu unseren Herzen. Treten ein in einen Raum. Ein Schreibtisch. Ein Fernseher. 4 Stühle. Schwarzweiße Menschen in gerahmten Gold formen Aneinanderreihungen von Momenten der Geschichte. Ein Fürst lächelt von rechts, das Wappen der Stadt thront stolz linksseitig. Albinas Kentra kocht Kaffee und lädt uns ein Platz zu nehmen. Liebevoll berichtet er von seiner Stadt, seinem Land und den Erlebnissen seines Lebens. Seit 1988 begleitet diesen Mann die Videokamera. Er spricht von einer Pflicht das Geschehen festzuhalten. Wir rücken näher an den Fernseher. Ein Bild erscheint und füllt das Schwarz. Menschen. Singende Menschen. Im Hintergrund das Parlamentsgebäude in Vilnius. Links unten das Datum. 8.1.1991. Der Moment ist schwer zu fassen. Wir hören die Fakten: sowjetische Soldaten versuchen das Parlament zu stürmen. Der Putschversuch wird gestartet. Singende Menschen. Keine Furcht, kein Hass, keine Aggression ist in diesen Gesichtern zu lesen. Wir staunen. Albinas erzählt von seinen Erlebnissen. Alle Kameras wurden von den Soldaten zerstört, Menschen daran gehindert Aufnahmen jeglicher Art zu machen. Er beschreibt seine Situation als "glücklich", in der Lage gewesen zu sein diese Bilder festzuhalten. Sehen Panzer näher kommen und hören diese Menschen weiter litauische Volkslieder singen. Unser 77-jährige Gastgeber stimmt ein, übersetzt uns die Liedtexte. Hunderte, tausende Menschen strahlen uns von 40x40cm Vergangenheit entgegen und im selben Raum strahlt Albinas. Seine Augen lachen kindlich und fast unbeschwert, doch eher stolz und freudvoll ist dieses Strahlen und tief sitzt der Glaube an den friedvollen Widerstand. Die ersten Schüsse fallen. Spüre ein Zucken, das durch meinen Körper fährt. Sehe Menschen, die sich vor die Kugeln stellen. Immer mehr eilen vor das zu schützende Gebäude. Es gibt Verletzte, doch keine Flucht. Es wird Nacht. Kaffee und Tee werden ausgeschenkt. Menschen tanzen. Barrikaden werden errichtet. Der Schlaf wird unwichtig, die Zeit irrelevant. Was zählt ist die Freiheit. Der nächste Tag bricht an. Auch Albinas fand keinen Schlaf und wird auch in den darauf folgenden Tagen keinen finden. Am 13.1. wird der Fernsehturm beschossen und 13 Menschen fanden in dieser Nacht den Tod. Wir sehen tausende Menschen, die diesen Toten das letzte Geleit geben. Die sowjetischen Soldaten scheinen nicht in der selben Stadt zu sein. Unbeeindruckt von Uniformen und Waffen stehen diese Menschen für ihre Freiheit. Im September des gleichen Jahres wird die Unabhängigkeit der baltischen Staaten durch die Sowjetunion anerkannt. Albinas erzählt von seinem "Glück". Er erzählt von einem Erlebnis mit zwei Wölfen. In einem Wald traf er auf die beiden Tiere. Er hob ganz ruhig seine Hand, blicke ihnen in die Augen, ging auf sie zu. Sein Blick traf die der Tiere und sie schlichen langsam an ihm vorbei und verschwanden im dichten Wald. Ein Lächeln entkam ihm und er sagte: wie mit den Soldaten. Sie ließen mich meine Kamera auf sie richten und wir blieben unzerstört. Wir haben uns nur in die Augen gesehen. Ohne Furcht und ohne Hass. ALBINAS KENTRA I Auszug aus dem Interview 17.02.2007 |
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