I day 08

I Verharren und Berühren

Samstag. Auch hier ein Sabbat. Sonntag. Teilweise ein Tag des Herrn. Und dann Montag. Die Woche beginnt. Quirlig strömen Autos neben Fußgängern neben Bussen durch die Strassen. Messen sich in Raumbedarf und Geschwindigkeit. Unsere Wege durch die Strassen bestehen aus einer gezackten Linie. Ein gerades Fortkommen scheint im Moment, zu dieser Jahreszeit, unmöglich: Eiskrusten verengen den Bürgersteig um ein Drittel, Menschen suchen vorbei zu kommen, berühren einander und uns, finden ihre Schlangenlinien um uns herum. Wir, die wir unseren Blick über Aughöhe zu heben versuchen, werden von der rutschigen Realität der asphaltierten Spur auf den Boden der Stadt geholt. Stolpern durch das jüdische Viertel. Suchen Spuren der Präsenz des ehemaligen litauischen Jerusalem. Finden Inschriften auf Hauswänden. Stehen vor verschlossenen Synagogentoren. Hinter der Einfriedung ein Hinweisschild auf das einzige, koschere Restaurant in ganz Vilnius. Treten weder in das Haus Gottes, noch in das Haus der Mittel zum Leben ein. Wir lassen uns durch den Vorsatz, durch den Süden und Osten der Stadt Punkte der Religionen zu finden, konsequent weitertreiben. Am Bewegungsknotenpunkt von Vilnius, dem Bus- wie auch Zugbahnhof, vorbei, mit einem kurzen Gedanken an Moskau - verschwendet an die Nähe und unmittelbare Erreichbarkeit hier im Norden. Nächste Station: Ausros Tor. Unter den behäbigen, wehrhaften Mauern hindurch sehen wir eine kleine, gewundene Gasse, gespickt mit Bernsteinläden. Während unser Blick auf das harzige Gold fällt, sehen wir im Augenwinkel ein plötzliches Innehalten der Menschen, die uns passieren. Mitten am Weg. Den Blick nach schräg oben gerichtet. Andächtig? Ehrfürchtig? Bittend? In jedem Fall sich bekreuzigend. Folgen den Augen der Menschen, entdecken Gold, dunkle Haut, Glanz. Am Scheitelpunkt des Tores thront das Bild der Madonna, umrahmt von Raum zur Anbetung. Die Menschen, deren Wege sich unter diesem Tor durch bewegen, sie verharren in ihrem Schritt, drehen sich aus ihrer Wegesrichtung, lassen sich für einen kurzen Moment aus ihrer Alltagsbahn werfen. Nehmen ihre Spiritualität aus ihren eigenen Wänden mit in die Stadt, in den offenen Raum. Stellen Kerzen in Plastikbecher an den Fuß der Mauer. Kerzen auch als letztes Geleit von Jurga Ivanauskaite. Schriftstellerin. Frau. Kämpferin gegen die Krankheit. Verlor am Samstag – verbleibt bis Dienstag in mitten der Menschen. In der brüchigen Bernhard-Kirche, von Kerzen umringt, die Wege mit Kerzen zu ihr geführt. Wie sich die Menschen ohne großen Abstand in der Öffentlichkeit begegnen und tatsächlich berühren, so auch die Geister derer. Durch die Lichter in dieser Stadt.

I Frank

Stolz und mächtig präsentieren sich die Säulen dieses Gebäudes und versprechen wichtige Taten und Menschen hinter ihnen. Ursprünglich wurden sie, in voller klassizistischer Pracht, als Teil des Rathauses gefeiert. 1810 wurde es dramatisch und man gab sich hinter den Mauern der hohen Kunst des Schauspiels hin. In den Dreißigerjahren fungierten das Gebäude als Kunstmuseum. Jetzt dient es, laut Merian, als Haus der Künstler. Nichts ahnend treten wir ein, in der Annahme Amtsstaub einatmen zu müssen. Doch frisch weht hier der Wind. Bilder eines Fotografens werden gesichtet. Die Halle ist im Umbruch. Die Ausstellung naht. Saulius Pilinkus ist am Werken. Hände werden geschüttelt und man spürt die Energie dieses Mannes. Geradeaus. Links. Stufen runter. Stufen rauf. Rechts. Links. Sitzen bald vor Tassen mit Kaffee. Versuchen unser Vorhaben kurz zu umreissen und entdecken ein Strahlen in seinen Augen, fast spitzbübisch. Die Ideen werden aufgesogen, weitergesponnen und Paralellen werden hergestellt, innerhalb von Sekunden. Er erzählt vom Franz Zappa Memorial. Zusammen mit einem Freund wurde die Idee geboren. Gespräche und Diskussionen um Denkmäler dieser Stadt und dieses Staates, gewesene und welche die noch kommen sollen, prägten die Jahre nach der Unabhängigkeit. Eine kleine Gruppe steuert gegen und glaubt an Frank und auch daran dass er Jude war oder so oder auch nicht. Jetzt ist dieses Denkmal, diese Büste ein wichtiger Bestandteil dieser Stadt. Die Freude, 12 Jahre später, liegt noch in seinen Worten. Sprechen ihn auf das Künstlerviertel in Vilnius an. Uzupis - "Hinter dem Fluss". Es wurde damals um einen Freund getrauert und die Menschen der umliegenden Strassen wurden eingeladen. Hunderte Menschen nahmen Teil und lieferten so den Startschuss für etwas Gemeinsames, etwas Eigenes, etwas Besonderes. Über eine Brücke überquert man den Fluss, die diese Strassen von der Altstadt trennt. Hinter dem Fluss wurde eine Republik ausgerufen und die Verfassung vereint 41 Artikel. Hier haben [...]alle das Recht, unglücklich zu sein und missverstanden zu werden[...]. Die Geschichten von der Gründung einer Republik und dem Aufstellen einer Büste lassen uns zeitreisen. Fern der Gegenwart und doch sehr aktuell, sehr lebendig klingen diese Taten. Die Kraft zu verändern, Dinge auf die Beine zu stellen, an eine Sache zu glauben und zu gestalten beeindruckt. Hier scheint alles frisch und frei und möglich und umsetzbar und alles in einem Leben.