I day 05

I Die Unabhängigkeit der Wölfe

Gediminas hat geschlafen, hat von heulenden Wölfen geträumt. Den Traum deutend hat ihm ein Priester geraten, an der Stelle seiner Rast eine Stadt zu bauen. Diese Stadt wird so stark wie ein Wolf sein und jedem Angriff standhalten. Heute steht diese Stadt in den Farben Rot-Gelb-Grün stolz zu ihrer Geschichte. Zeigt diesen Stolz in Liedern, in Flaggen, die durch die Strassen wehen, in unzähligen Ansprachen. Lässt sich von ihm durch die nächtlichen Strassen ziehen, vorbei an Wärmequellen, die wie Signalfeuer von Blickpunkt zu Blickpunkt leuchten, mahnend, den Tag nicht zu vergessen, an dem, stark und entschlossen, die eigene Unabhängigkeit mit Zähnen, Armen und Willen verteidigt wurde. Heute ist diese Stadt auch Schmelztiegel der Nationen und Anziehungspunkt für die Menschen der ehemaligen Großmacht, die sich einst der Vormachtstellung über dieses Land und der Sowjetisierung so überaus sicher war. Heute steht Gediminas neben dem neuen alten Stadtschloss, blickt über das Dach zur Kathedrale, auf deren Giebel sich die drei weißen Figuren wieder einfinden, nachdem sie so lange versteckt gehalten wurden, aus Angst, die Kathedrale wird – wie die Bernhard-Kirche - zu einer Autowerkstatt oder dergleichen umgenutzt. Die Bernhard-Kirche trägt immer noch Wunden davon, die langsam heilen. Das Stadtzentrum aber – verheilt und selbstbewusst. Heute existiert hier die Unabhängigkeit der Wölfe.

I Come back to Lithuania

Der Tag war geprägt von wehenden Fahnen, stolzen Menschen und einer lebendigen Geschichte. Die Gesichter erinnern sich, scheinen damals dabei gewesen zu sein und bereit ein weiteres Mal für ihre Freiheit der Kälte zu trotzen. 1918: Unabhängigkeitserklärung der drei baltischen Staaten. Diesem Tage wird gedacht, laut Kalender, laut Merian. Doch: die Geschichte war bewegt und ist jung. 1939 wird, mit dem Hitler-Stalin-Pakt, das Baltikum dem sowjetischen Einflussbereich zugesprochen. 1941 beginnen Massendeportationen nach Sibirien. Zwischen 1941 und 1944 werden, unter deutscher Besatzung, 200 000 litauische Juden ermordet. 1944/45 kehrt die rote Armee zurück in die baltischen Staaten und damit beginnt der Partisanenkampf. Vytautas Landsbergis betrat gestern den Balkon des Signatarenhauses und die Menge jubelte ihm zu - er, der 1990/91 Durchhaltevermögen bewies. Als Parlamentarier verhandelte er bis die Sowjets die Unabhängigkeit der baltischen Staaten anerkannten. Aktuell ist Landsbergis EU Abgeordneter und steht in der EU aufrecht und stolz für "sein" unabhängiges Land. Gestern wurde also mehrfach gedacht. Gedacht und immer noch in allen Gedanken ist die Unabhängigkeit von den Sowjets, die Scheidung der "Krakauer Hochzeit", die Abwanderung der Deutschen. Die Menschen sind stolz und stark. Sie glauben an die Stärke ihres Landes und an die Kraft des Einzelnen. Am Abend dann das Konzert auf dem Kathedralenplatz unter dem Titel „Come back to Lithuania“. Unmengen an gelben Handschuhen suchen den höchsten Punkt am Himmel. Es wird getanzt. Neben der Bühne eine Leinwand. Projiziert werden zuerst Graugänse, dann Enten, dann Schwäne - unzählige Flugvogelvarianten, die alle nur das Gleiche im Sinn haben: fliegen. Gen Süden? Gen Norden? Der Titel "Come back to Lithuania" beantwortet diese Fragen.

 

[...]I wish you to be a dignified people of a dignified state and I wish that light and truth always guide our steps so that each and every of us could be truly sincere when they say: February 16 is my holiday.[...]

H.E. Mr. Valdas Adamkus, President of the Republic of Lithuania; extract from the speech; 16th february 2007; Vilnius, Lithuanian